Dienstag, 12. Mai 2015

Anfänge der Besiedlung Südthüringens

Auf der Widderstatt
Die Besiedelung der Landschaft im Dreieck zwischen Rhön, Thüringer Wald und Main scheint sich von Anfang an vom Süden herauf vollzogen zu haben. Zwar fanden sich einige Feuersteinwerkzeuge aus der Altsteinzeit bei Untermaßfeld und Rohr, aber erst nach der letzten Eiszeit sind kontinuierliche Rastplätze der Jäger und Sammler bei uns anzunehmen. Mit dem Rückzug der Gletscher ist ihre Wanderungsbewegung klar.
Kleine Steingeräte dieser Nomaden wurden auf der Widderstatt bei Wachenbrunn und auf der Strick, gegenüber von Henfstädt an der Werra, ausgegraben.
Werratal
Die Anhöhen dort müssen schon damals wohlausgesuchte Plätze gewesen sein, denn beide sind bis zu Beginn unserer Zeitrechnung kontinuierlich besiedelt gewesen. Auch die ersten Bauern und Viehzüchter sollen ab dem 5. Jahrtausend v. Chr. von der Donau herauf gekommen sein und sich mehrheitlich rund um die beiden Gleichberge niedergelassen haben. Diese, die ganze Region beherrschenden Zwillingskegel bilden seit dem nicht nur geografisch das Zentrum einer anhaltenden und erfolgreichen Besiedlung Südthüringens bis ins 1. Jhd. v. Chr. Ursache dürften die nicht nur fruchtbaren, sondern vor allem feinkörnigen Böden hier sein. Später könnte so der Name "Grabfeld" für die Region westlich der Gleichberge entstanden sein - im Gegensatz zu den steinigen Böden ringsum. Das müssen schon die Menschen des Neolithikums erkannt haben. Die Reste ihrer Pfostenhäuser und der bandverzierten Keramik fanden sich z.B. bei Römhild, Milz und Haina. Von den Gleichbergen selbst sind nur Einzelfunde auf der Steinsburg bekannt, die von den Experten  nicht als dauerhafte Siedlungen anerkannt werden.
Gleichberge
Im 3. Jht. v. Chr. wechselt die Schmuckgravur der gefundenen Gefäße. Die neue Kultur der Schnurkeramiker weitete nun das Siedlungsgebiet bis in die Gegend von Hildburghausen und Helmershausen in der Rhön aus. Solch ein Kulturwechsel soll immer auch auf kriegerische Invasionen hinweisen: Die meisten Wissenschaftler bringen die Neuankömmlinge mit indogermanischen Reitervölkern vom Schwarzen Meer in Verbindung. Sicher ritten die nicht friedlich ein. Da Berge nichts für Pferde sind, werden auch sie aus dem Donautal herauf gekommen sein.
Den gleichen Weg scheinen nicht viel später auch die Glockenbecherleute genommen zu haben, ebenfalls mutmaßliche Okkupanten, die aber nicht aus dem Osten, sondern von der Iberischen Halbinsel stammen sollen. Sie hätten auch das Kupfer in unsere Gegend gebracht. Eine Fundkette von Steingeräten aus dieser Zeit zieht sich aus der Gegend um Bad Königshofen über Herbstadt, Milz, Haina, an den Gleichbergen vorbei nach St. Bernhard, Trostadt, Schleusingen und Suhl bis Arnstadt. Auch die wenigen Kupferartefakte aus dieser Zeit bei uns deuten kulturell in Richtung Süden.
Bipolare Bestattung
Glockenbecher und Schnurkeramiker benutzten beide die sog. bipolare oder geschlechterspezifische Bestattung, allerdings mit einem kleinen Unterschied: Die Toten blicken jeweils in eine andere Richtung.
Die ab 2300 v. Chr. überall um uns herum erfolgreiche Aunjetitzer-Kultur soll - folgt man den Archäologen - um Südthüringen einen Bogen gemacht haben. Warum, ist nicht nachzuvollziehen. Damit sind wir bei dem physisch und geistig eingeschränkten Blickwinkel der Altgeschichtler. Hier herrscht noch das Dogma entsprechender Lehrstuhlinhaber. Visionäre Archäologen haben einmal ausgerechnet, dass wahrscheinlich nur ein Tausendstel aller Siedlungsplätze in Europa überhaupt erfasst wurden. Gerade zwischen Donau und Rennsteig ist fast jeder zweite Berg künstlich deformiert, trägt Befestigungsstrukturen und Gräberfelder. Dem Autor sind persönlich alleine im Kleinen Thüringer Wald mehrere Hundert flache Steinhügelgräber bekannt, von denen zwei geplünderte auf die Becherleute hinweisen. Allerorts finden sich auch Konzentrationen künstlich bearbeiteter Steine, über deren Alter nur wissenschaftliche Grabungen Aufschluss geben könnten. Dafür hat aber niemand Geld.
Erst ab 1600 v. Chr. wird es wieder konkret: Von der Donau soll die Mode der Hügelgräber in der Bronzezeit über uns gekommen sein. Hunderte solcher reichlich mit Beigaben versehenen Bestattungen in unterschiedlich große Stein- und Erdaufwürfen zeugen von wohlhabenden Gemeinschaften. Ihr Siedlungsgebiet zieht sich jetzt von den Gleichbergen über das Grabfeld bis in die Rhön (Dingsleben, Meiningen, Streufdorf, Jüchsen, Einödhausen, Dörrensolz, Aschenhausen, Klings, Dermbach, Weilar und Wölferbütt). Ganze Sippenfriedhöfe konzentrieren sich um den Kleinen Thüringer Wald bei Schwarza, Grub, Dietzhausen und Kühndorf.
Hügelgräber
An all diesen Orten gruppieren sich die Gräber um mutmaßliche verschanzte Siedlungen auf Höhenrücken. Man schien sich mehr und mehr schützen zu müssen. Die Grabbeigaben zeugen von vielfältigen Kontakten dieser Siedler bis an Main und Rhein, über die Oberpfalz bis nach Böhmen, im Westen über das osthessische Bergland bis in die Lüneburger Heide, vor allem aber nach Norden ins Thüringer Becken.Um 1.200 v. Chr. aber war es mit dem Frieden wieder vorbei. Katastrophenartige Umwälzungen müssen ganz Europa erschüttert haben. Allerorts entstanden befestigte Höhenburgen, werden Schätze vergraben, tauchen erstmalig Lanzen und Helme in Mitteleuropa auf. Die Steinsburg  erhält jetzt sogar eine Basaltmauer. Auch der Zwillingskegel der Gleichberge, der Bernberg, wird jetzt befestigt. Wieder aus dem Donauraum sollen die Urnenfelderleute – die Gestorbenen werden jetzt verbrannt - bis in unsere Mittelgebirgszone und darüber hinaus vorgedrungen sein. Manche Wissenschaftler sehen sie als Invasoren, die meisten als  religiöse Heilsbringer, ohne die Motivation für solch einen Umbruch zu nennen.
Öchsen
Die Brandbestatter setzen sich meist in den gemachten Nestern der Unterworfenen fest: bei Haina, Gleichamberg, Streufdorf, Tachbach, Henfstädt, Belrieth, Oberkatz, Kaltenlengsfeld, Öchsen, Gumpelstadt und Schweina. Landwirtschaft wird nun selbst auf unwirtlichen Böden betrieben, die Wälder unverhältnismäßig stark abgeholzt. Manche Forscher bringen die großen Ackerterrassen, wie rund um die Geba, sowie die überstrapazierten Magerrasenabhänge vor allem in der Rhön mit ihnen in Verbindung. Überhaupt scheint sich damals irgendwie alles auf den Bergen abgespielt zu haben. Die großen Flussauen in Deutschland jedenfalls sollen damals menschenleer gewesen sein. Klimaforscher vermuten Küstentsunamis, Überflutung der Flussauen und Dauerregen auf Grund eines Vulkanausbruchs mit anschließender typischer Atmosphärenverstaubung (Siehe Blog "Prähistorisches Europa"). Krisen bringen aber wie immer enorme Innovationsschübe. Man lernte Eisen zu schmieden, den Pflug zu verbessern und Fibeln statt Gewandnadeln zu verwenden. Archäologisch gesehen, schien es wieder aufwärts zu gehen.
Die Urnenfelderkultur
Für Südthüringen aber sind sich die Historiker uneins: Während neuerdings eine Entwicklungskontinuität von Urnenfelder-, Hallstatt- und Latenekultur favorisiert wird, vermuteten Altgeschichtler ein Siedlungsloch zwischen Urnenfelder- und Hallstattzeit. Auch der in unserer Region so populäre Dr. Wölfing verweist auf die magere Fundsituation an den Gleichbergen, wohlwissend, dass kaum representative Grabungen vorliegen. Die Kontinuitätsanhänger hingegen stützen sich auf neueste archäologische Erkenntnisse und erklären den partiellen Fundmangel auf den Gleichbergen mit der geringen Witterungsbeständigkeit von Eisen im feuchten Basaltgebiet dort. Auch Klima und Gesellschaft gäben keine Anhaltspunkte für Abwanderungen. Die urnenzeitlich begrenzte Besiedlung des Bernberges könnte mit dem Machtzuwachs der Steinsburg begründet werden.
Wie dem auch sei: In der Hallstattzeit werden die Verstorbenen zwar weiterhin verbrannt, aber auch wieder in Grabhügeln bestattet, oft mit reicher Keramikbeigabe. Glanzlichter sind ein privilegiertes Frauengrab bei Henfstädt, der Fund eines Bronzeschwertes bei Römhild und der eines Halsringsatzes bei Welkershausen. Kulturell deutet sich wieder eine starke Verbindung nach Süden und Südwesten an. Ganze Gräberfelder wurden am Fuße der Gleichberge, bei Wolfmannshausen, Dingsleben, Jüchsen, Henfstädt, Ritschenhausen und Herpf gefunden.
So sahen die heutigen Steinwälle ursprünglich aus
Aus dieser Zeit - noch vor 500 v. Chr. - sind auch wieder Funde von der Steinsburg bekannt. Sie war jetzt dauerhaft und stark befestigt. Ebenso der Öchsen bei Vacha und die Diesburg bei Wohlmutshausen. Während der Latenezeit, ab 500 v. Chr., werden in den griechischen Schriften nun endlich die Kelten benannt. Auch die in Südthüringen und Franken lebenden Siedler muss man ihnen zurechnen. Auf der Steinsburg entwickelte sich eine stadtähnliche Anlage, ein so genanntes Oppida, mit vielleicht 6.000 Einwohnern. Viele Einzelfunde belegen hier ein bedeutendes keltisches Zentrum inmitten eines landwirtschaftlich florierenden Umfelds. Es finden sich jetzt Wohnstallhäuser, Handwerksstätten und natürlich wieder Bestattungsplätze bei Einhausen, Leimbach nahe Salzungen, auf der Widderstatt bei Jüchsen und am Fuß der Steinsburg oberhalb von Haina. Vladimir Salac, Archäologe aus Tschechien, sieht in jener Zeit einen Warenaustausch von Keramik nicht nur mit Mitteldeutschland und Böhmen sondern auch mit Hessen und sogar dem Rheinland. Reinhard Spehr erklärte nach dem Vergleich von Pflugscharen, dass die Bauern in Südthüringen zu den innovativsten weltweit zählten. Das alles kann im Steinsburgmuseum zwischen den Gleichbergen, im Archäologischen Museum Bad Königshofen oder im Heimatmuseum Jüchsen besichtigt werden.
Oppida
Dort zeigt sich auch, dass im gesamten Dreieck von Donau, Rhön und Thüringer Wald nicht nur eine ähnliche, sondern ab 1200 v. Chr. auch eine kontinuierliche Entwicklung stattgefunden haben muss. Dafür stehen so geschichtsträchtige Oppida wie die Milseburg in der Rhön, der Staffelberg am Obermain, oder die Ehrenbürg bei Forchheim. Dazu kommt eine Unmenge von Höhenwallanlagen, die selten erwähnt werden, wie auf dem Dolmar oder die nie archäologisch untersucht wurden, wie auf dem Bleßberg über Schalkau. Im damals so genannten herkynischen Wald, zu dem auch der Thüringer Wald und der Böhmerwald gehörten, verortet Cäsar noch vor der Zeitenwende den Stamm der Volcae. Vom größten keltischen Oppidum Manching, damals an der Donau, muss ein Handelsweg bis zu uns und weiter nach Norden geführt haben: der heutige Keltenerlebnisweg. Er kam über Schwäbische Alb, Ries, Steigerwald und Hassberge, um über den Thüringer Wald abzufließen (Siehe Post "Altwege durch Südthüringen").
Kelten vom hessischen Glauberg
Alle 20 Kilometer, dem Tagespensum eines Ochsenfuhrwerkes, ist heute noch eine befestigte Höhensiedlung oder ein anderer exponierter Ort aus dieser Zeit auszumachen. Übrigens gibt es weiter östlich noch eine zweite prähistorische Route von Manching entlang der fränkischen Alb mit Ehrenbürg, Staffelstein und Bleßberg, die den Sonneberger Raum tangiert (Siehe Post "Prähistorische Urwege durch Franken"). Ethnologen sehen unsere ganze Region in einer kulturellen Blüte.
Ab Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. aber wird es dann dünner. Bis 50 vor der Zeitenwende sind alle Oppida verlassen. Wissenschaftler vermuten, dass die keltische Macht zwischen Römern und Germanen aufgerieben worden sei. Bewiesen aber ist da nichts! Archäologen fanden nur wenige Hinweise auf Kampfhandlungen. Sie vermuten eher eine allgemeine Südwanderung der Kelten wegen Verschlechterung des Kimas. Es sollen auch nur die Kriegereliten mit ihren Familien abgezogen sein. Tatsächlich besetzten die den Balkan, zogen nach Italien und berannten Rom, fielen in Griechenland ein und gründeten in Kleinasien Galatien. Auch Ableger der Volcae tauchen in Südfrankreich und Anatolien auf.
Eine völlige Entvölkerung unserer Region wird neuerdings von der Wissenschaft abgelehnt.
Zeitgeist: Die Germanen kommen...
Beginnend noch vor der Zeitrechnung sollen mehrere Germanenstämme vom Unterlauf der Elbe bei uns durchgezogen sein, wie Sueben, Hermunduren, Markomannen und Quaden. Der griechische Geograph Ptolemäus beschreibt aber 200 nach Christi auch einen Stamm der Turonen südwestlich der Chatten. Nicht wenige Historiker sehen in ihnen die Stammväter der Thüringer. Selbst in Belgien und an der Atlantikküste will man deren Nachfahren fest machen.
Archäologen fanden nur wenige "jungfreuliche", unüberbaute germanische Siedlungen wie bei Sülzdorf, Altrömhild, Henfstädt, wo römische Altmetalle recycelt wurden oder in Trostadt, wo ein römischer Münzschatz aus dem 2. Jhd. unserer Zeitrechnung auftauchte. Schon damals also könnten Orte existiert haben, in denen wir heute wohnen. Viele Heimatforscher leiten die Namen der Städte und Dörfer mit der Endungen -ungen oder -ingen von den Alemannen ab, die auf ihrer Südwanderung nach Schwaben die Flussübergänge mit Siedlungen schützen wollten: Salzungen, Schwallungen, Breitungen, Wasungen und Schleusingen entstanden. Rund um diese Siedlungen findet man auch die meisten und tiefsten Hohlwege in unserer Region.
Völkerwanderung während der ersten 500 Jahre
unserer Zeitrechnung
Den Alemannen sollen um die Zeitenwende die Hermunduren gefolgt sein. Ihnen ordnen manche Hobbyhistoriker die Orte mit der Endung -stedt zu. Denn "-ing/-ung" müsse älter sein, weil bei der "Nachbenamung" von Ortschaften das Stammwort immer vor dem Bestimmungswort blieb. Es gibt nur ein Stedt-lingen in Deutschland, aber 12 Orte mit der Doppelendung -lingstedt. Das bedeutet: "-stedt" kann nur später entstanden sein. (Siehe http://www.ling.uni-potsdam.de/~kolb/DE-Ortsnamen.txt.)
Sicher scheint eigentlich nur das Suffix -leben, von den Thüringern. Die sollen ab etwa 400 eine lockere Hoheit auch südlich des Thüringer Waldes ausgeübt haben. Dabei könnte es bevölkerungstechnisch noch dünner geworden sein. Wissenschaftler sehen hier die Sogwirkung der massenhaft ins Römische Reich einfallenden Germanen.
Historische Darstellung der Gothen

Dazu passt auch die plausible Theorie von Heike Grahn-Hoek über die Entstehung der Thüringer: Wahrscheinlich aus dem Osten nördlich der Karpaten kommend, müssen sie das ganze Gebiet der Volcae um den Thüringer Wald herum vereinnahmt haben. Sie schufen ein Reich von der Saale bis an Donau und Rhein mit dem Machtzentrum im Thüringer Becken. (Siehe Post „Thüringer – die letzten Goten?) Ihre Hauptorte lagen nördlich des Mittelgebirgskammes und uns haben sie eigentlich nur die heutige Landesbezeichnung, den Ortsnamen Dingsleben und eine Zangenfibel in der Flur von Streufdorf hinterlassen.
Doch die Völkerwanderung bleibt eine dunkle Zeit. In den wenigen schriftlichen Quellen taucht der Begriff „Buchonia“ für Rhön und Thüringer Wald auf. Das bestärkt manchen Historiker in seiner Meinung einer "siedlungsfreien Zone". Dabei machen die archäologischen Funde eher ein Durchzugsgebiet mit nicht wenigen Siedlungsplätzen wahrscheinlich (Siehe Post "Als die Kelten abgezogen waren").
Gegen Ende der Völkerwanderung mehren sich dann endlich die schriftlichen Quellen. Wenn man die heutigen Orte mit ihren Namen aus der frühesten Erwähnung vergleicht und die archäologischen Befunde heranzieht, scheinen folgende Gründungszeiten für Südthüringen und Franken sinnvoll:


Name
Beispiele
Alter
Reine Eigennamen
Milz, Jüchsen, Geba, Werra
Vor der Zeitrechnung, ev. sogar  vorkeltisch, vor 600 v. Chr.
Endungen -ar, -a, -les, lis, -los, -las, -ach, -hall, -loh, -idi, 
Themar, Geisa, Gärthles, Hoher Loh,
keltisch, von 600 bis etwa 50 v.Chr.
Endungen -ing, -ung
Meiningen, Breitungen, Salzungen, Schleusingen
Alemannisch, von 50 vor bis 200 nach der Zeitenwende
Endungen -stätt, -städt, -stedt, etc.
Witterstatt, Henfstädt
Germanisch, ab Zeitenwende bis 400 n. Chr., ev. Hermunduren
Endung -leben,
Dingsleben
Thüringisch, von 400 bis 531 unserer Zeit
Endungen -heim, -hausen, -stein, -burg, -feld
Endungen -wind, -itz
Nordheim, Einhausen, Lengfeld
Fränkisch, ab 600 unserer Zeit bis 800
Slawisch, ab 800 unserer Zeit
Endung -bach, -dorf,
Fischbach, Rappelsdorf
Frühmittelalter, ab 800
Endungen -rod, -roda, -reuth, -rieth,  -schlag
Bischofrod, Biberschlag, Reurieth
Mittelalter, ab 1.000, Rodungsnamen auf unbesiedelten Anhöhen, könnten aber auch sehr viel älter sein

Bei den Jahreszahlen muss berücksichtigt werden, dass die Einwanderung der Germanen bei uns später erfolgte, als im Thüringer Becken. Logisch erscheint auch, dass die neuen Herren Altsiedlungen nicht nach ihrem Gutdünken bezeichneten, sondern vorhandene Namen aufgriffen. Auch wenn Namensforscher meist im Trüben fischen müssen, vielen Orte könnten so ihre Gründungszeiten deutlich nach hinten verschieben. Das bestätigen auch die neuesten Entwicklungen:  Da werden unbekannte wallartige Geländestrukturen über Herpf entdeckt, Flurnamen in Schleusingen wissenschaftlich interpretiert, vergessene Dokumente im Meininger Staatsarchiv entstaubt. Und immer mehr Laien beschäftigen sich intensiv mit der Materie. Ernst Fischer aus Suhl mit seinen prähistorischen Menhiren an der Lauter und dem kultigen Amphitheater auf dem Domberg ist hier ein beredtes Beispiel. Leider auch dafür, wie die etablierte Wissenschaft mit neuen Hypothesen umgeht. Man lachte den umtriebigen Forscher aus! Es gilt wie immer nur das geschriebene Wort!
Germanische Siedlung
Doch weiter: Die Thüringer wurden ja bekanntlich 531 an der Unstrut von Franken und Sachsen geschlagen, was in unserer Region das Machtvakuum zunächst weiter verstärkt haben könnte. Es soll nur noch wenige "Siedlungskammern" im Grabfeld sowie an Werra, Jüchse und Ulster gegeben haben. Die fränkischen Invasoren hätten nicht sofort einmarschieren können, weil sie sich noch mit anderen Völkern im Westen herum schlagen mussten. Jüngere Forschungen aber legen nahe: Sie sind sofort eingerückt und fanden jede Menge Ansässige vor (Siehe Post "Die Franken kommen nach Franken"). Als "offiziell" und "urkundengedeckt" gilt dann die planmäßige fränkische Staatskolonisation im 7. Jhd., größtenteils, wie üblich, vom Main herauf. Typisch wieder für diese Okkupation: Handels- und Heerstraßen, Pässe und Furten wurden mit Wachen und Burgen gesichert. Beispiele sind die frühmittelalterlichen Burgwälle in den Wäldern um Bibra, Sachsenbrunn oder Tachbach. An den sich langsam herausbildenden, heute namentlich bekannten Altstraßen reihen sich die "-hausen"-Orte wie an einer Perlenketten auf. Vielleicht waren das die ersten festen Steinbauten bei uns? Die fränkischen "-heim"-Orte breiteten sich hingegen sternförmig von einem Zentralort aus: Alleine in Südthüringen gibt es drei "Nester" mit Ost-, West-, Nord- und "Sund"-heim.
Ostheim vor der Rhön
In Kaltenwestheim und Kaltensundheim fand man auch die Gräber der ersten Franken, die von erheblichen sozialen Unterschieden zeugen. Aus den neuen Herren, den übrig gebliebenen Einheimischen, kriegsgefangenen Sachsen und Slawen soll unsere typische fränkische Mundart entstanden sein. Die hat nichts mit der thüringischen Sprache nördlich des Rennsteigs zu tun, welche heute als Sächsisch wahrgenommen wird, was wiederum nichts mit dem Stamm der Sachsen zu tun hat. Verwirrend? (Siehe Post "Thüringer - die letzten Goten") An den Variationen unseres fränkischen Dialekts ist auch zu erkennen, dass im Salzunger Raum zusätzlich Thüringer und Hessen eingesickert sein müssen. Jetzt erst, im Frühmittelalter, scheinen sich die dörflichen Strukturen herausgebildet zu haben, wie wir sie heute kennen. Ihre urkundlichen Ersterwähnungen aber sind stets zufällig! Die Straßendörfer könnten mit den ersten Germanenzügen entstanden sein (Zeitenwende), die Angerdörfer, als man sich noch verteidigen musste (Völkerwanderung). Der Historiker und Sänger Reinhold Andert will das Alter eines Dorfes an der Lage seiner jeweiligen Kirche ablesen: Steht sie am Rand des Ortskerns, muss die Siedlung vor der Christianisierung (also vor 800) entstanden sein, weil kein Platz mehr im Dorf war.
Rohr
Es gibt aber auch Überlegungen, die die Kirchtürme mit Schießscharten als Mittelpunkt frühmittelalterlicher Befestigung der fränkischen Kleinherrschaften interpretieren. Die sollen ja auch damals die ersten Gebetshäuser als "Eigenkirchen" geschaffen haben. Als dann aber die karolingischen Grafen diese lokalen Herrscher reihenweise vereinnahmt hatten, nutzten die Bewohner Teile der nun "offenstehenden" Kleinkastelle weiter: Die meisten alten Kirchenschiffe erkennen Architekten als "einfach nur an einen Verteidigungsturm angebaut". So könnten unsere ganzen Wehrkirchen entstanden sein.
Die fränkischen Reisekönige sollen uns an ihren Heerstraßen auch sicherungsfähige Lagerplätze hinterlassen haben, wie den Königshübel zwischen Suhl und Zella-Mehlis oder den Königshügel über Springstille. Ihre Tal-Höfe platzten sie nach politischen Gesichtspunkten in die Landschaft, wie das Beispiel Breitungen zeigt: „Altenbreitungen“ kann als vorfränkisch interpretiert werden, „Königsbreitungen" (später Kloster Frauenbreitungen) als neuer Königshof, bald geschützt durch eine Befestigung mit „Burg-", das spätere "Herrenbreitungen“. In diese neuen, das ganze Land beherrschende "feste Häuser" setzte der jeweilige fränkische Herzog (z.B. Heden II. von Gotha und Würzburg) als Finanzverwalter Grafen ein. Dass diese sich später selbständig machen sollten, lag am Untergang der Zentralgewalt im "Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. In unserer Gegend dominierte ab der Jahrtausendwende die Dynastie der Henneberger. Doch das kann ja nun schon überall nachgelesen werden.
Herrschekloße
Die jüngsten Ausgrabungen in dem winzigen Dorf Harras an der Werra stehen symbolisch für die historische Kulturlandschaft Südthüringens. Hier, direkt an einer Werra-Furt, konnte eine kontinuierliche Besiedlung seit 6.000 Jahren nachgewiesen werden (Siehe Post "Die Harrasser Urweg-Route"). Selbst ein steinerner Turm aus dem Frühmittelalter durfte nicht fehlen. Auch andere Erkenntnisse deuten auf ein höheres Alter unserer Gemeinwesen hin, als bisher angenommen: In den letzten Jahren haben Archäologen herausgefunden, dass die mittelalterlichen Burgen auf der Henneburg, der Heldburg oder der Coburg auf alten Befestigungen der Hallstattzeit stehen. Die Dörfer zu ihren Füßen könnten also ebenfalls damals (800 v. Chr.) entstanden sein. Bei den Gleichbergen war das Alter ja wegen der Zufallsfunde beim Basaltabbau klar. Beim Dolmar aber, wo einem die Ringwallanlage förmlich ins Auge springt, mussten erst Ausgräber ran, um sie entsprechend zu datieren. Bei der Hohen Geba wird ebenfalls zeit Jahrzehnten debattiert. Dabei kennt jeder Heimatforscher dort die geplünderten Großsteingräber, Steinwälle und Schanzstrukturen. Legt man diese Muster zugrunde, könnten viele Ortschronisten über ihren Dörfer ehemals befestigte Höhensiedlungen identifizieren.
Oder denken wir an die zahlreichen heidnischer Bräuche bei uns, die weit in die Vergangenheit reichen müssen (Herschloße, Tanzbär etc.). Wir benutzen zwar eine germanische Sprache, die permanent südlichen Einflüsse unserer Kultur aber, können nicht geleugnet werden.
Das alles konnte sich wohl nur deshalb so gut erhalten, weil hier Urbanisierung und Industrialisierung vergleichsweise langsamer vonstatten gingen, als in den Ballungszentren. Zerstörung und Überbauung der alten Relikte finden erst heute in großem Maßstab statt. Die Ursachen solcher "Rückständikeit" lassen sich ebenfalls weit in unsere Vergangenheit zurückverfolgen: Im Grabfeld scheint seltener die Sonne, die Böden sind weniger ergiebig, wir liegen weitab der großen schiffbaren Flüsse, die Christianisierung kam nur schleppend voran. Was die Römer schon damals abgehalten hat, bei uns einzumarschieren, könnte man heute als Segnung begreifen.

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